Archiv der Kategorie: Studium

Elite

Während “Elite” hierzulande zum positiven Schlagwort und immer mehr zum Slogan geworden ist, schämt man sich ihrer in der traditionell klassen- und elitegeprägten britischen Gesellschaft zunehmend. So stehen Oxford und Cambridge etwa seit Jahren unter staatlichem Druck, “more inclusive” zu werden (so nannte es kürzlich der Guardian) – aber ist Inklusivität nicht das genaue Gegenteil von Elite?!

Der Punkt der Forderung nach mehr Inklusivität ist natürlich nicht nur, dass man mehr Studenten aufnehmen solle (das allerdings auch), sondern vor allem, dass die Elite, die sich im Übrigen nie selbst als solche bezeichnet, sozial inklusiver, durchlässiger also, werden solle. Noch immer rekrutiert sich fast die Hälfte der erfolgreichen Bewerber auf einen Studienplatz in Oxford von teuren Privatschulen, die ihrerseits von weniger als 10% der Schüler besucht werden. “More inclusive” bedeutet natürlich: fairer. Aber wie macht man das?

Die Bewerbung auf einen Studienplatz in Oxford (oder Cambridge) ist ein komplizierter Vorgang. Da sind nicht nur Formulare auszufüllen, sondern auch Essays einzureichen; wenn die eingesandten Unterlagen überzeugen, wird man zu Auswahlgesprächen (an mehreren Colleges) eingeladen; und wer auch darin überzeugt, erhält ein “conditional offer”, also einen Studienplatz unter der Bedingung, dass die Schule mit einer bestimmten Note abgeschlossen wird. (Wer sich aus Deutschland bewirbt und einen guten Eindruck gemacht hat, wird z.B. ein Studienplatzangebot unter der Bedingung erhalten, dass die Abiturnote nicht schlechter als 1,3 wird.) Das klingt sehr ausgewogen. Das Problem an der Sache ist, dass Schüler an Privatschulen (je teurer, desto besser) auf dieses Auswahlverfahren hin trainiert werden – und zwar ganz wörtlich: das Auswahlgespräch wird geübt, selbst über Dozenten, die solche Gespräche durchführen, werden nach Erfahrungsberichten früherer Schüler Register angelegt, die dann wiederum in der Vorbereitung verwendet werden … Und bei einer solchen Vorbereitungs-Industrie soll man als auswählender Dozent noch faire Standards anlegen können!

Soweit ich das sagen kann, versuchen zumindest sehr viele der beteiligten Dozenten das Ungleichgewicht im Bewerbungsprozess auszugleichen – etwa, indem man dem Auswahlgespräch noch eine Klausur vorschaltet, in der das flüssige Gesprächsverhalten des Privatschülers nicht so leicht blenden kann, oder indem man im Bewerbungsgespräch Rätsel und Fragen vorlegt, bei denen es nicht auf erlernte Antworten, sondern auf den Denkprozess ankommt. In jedem Fall scheinen Vorwürfe an die Adresse der Universität zu spät anzusetzen; Oxford und Cambridge können nur versuchen, die schon längst vorhandene Ungleichheit wieder einigermaßen auszugleichen, abschaffen müssen sie andere.

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Terminologie

In den nächsten Wochen werde ich mich (so zumindest mein Vorsatz) ein bißchen genauer über das Oxforder tutorial-System auslassen, das ich seit Kurzem nicht mehr nur als Lernende, sondern auch als Lehrende kenne. Zum Einstieg nur ein kurzes Zitat von W.G. Moore: 

At Oxford in my youth the Senior Tutor’s formula in reporting on my work to the Head of the College would never be: „Mr. Moore is being taught by Dr. X.“ It would be: „Mr. Moore is reading this part of his subject with Dr. X.“ I have come to see that two worlds lie within these expressions.“

Übrigens: Nein, ich weiß nicht, wer W.G. Moore ist. Ich habe das Zitat nur abgeschrieben. Schließlich braucht man ja mal ein bißchen Erholung vom wissenschaftlich korrekten Arbeiten.

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Wieder mal: Bildung oder Bachelor

Nun gibt es also – laut Spiegel online – eine aktuelle Studie, die den Erfolg der neuen Bachelor-Studiengänge untersucht; und siehe da, es gibt

im Bachelor-Studium oft zu wenig Möglichkeiten, das Wissen in bestimmten Punkten zu vertiefen, also einzelne Themen länger, intensiver und umfassender zu beackern.

Wer hätt’s gedacht.

Ein weiterer Punkt, der den Absolventen zufolge noch verbessert werden muss: die Vorbereitung auf das Berufsleben. Die Struktur des Bachelor-Studiums, die von vielen als „verschult“ bezeichnet wird, hat laut Studie bisher nicht zu einer Verbesserung gegenüber den klassischen Studiengängen geführt.

Vorbereitung aufs Berufsleben: Das bedeutet dann wohl die endgültige Verabschiedung von der Universität als Bildungsinstitution. Man fragt sich zudem, was die Verschulung zu besagter Vorbereitung hätte beitragen sollen: Kommt man später im Beruf besser zurecht, wenn einem an der Uni gleich das selbständige Denken und Arbeiten ausgetrieben worden ist?

Da kann man sich nur wundern.

(Disclaimer: Natürlich gibt es gute Bachelor-Studiengänge. Mir geht es um die weit verbreitete Einstellung dazu, die in solchen Formulierungen zum Ausdruck kommt.)

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Synthese

Lernen deutsche Schüler eigentlich immer noch, ihre Aufsätze nach dem Schema “These, Antithese, Synthese” aufzubauen? Ich habe das so gelernt und erst im Studium in England einen ganz anderen Ansatz kennengelernt: den der provisorischen These.

Hinter der deutschen Synthesefixierung steckt die Ideologie des Endgültigen: Als 13jährige Schülerin muss man da zu einem Ergebnis kommen, das allen Seiten Gerechtigkeit werden lässt, das über den kleinlichen Parteilichkeiten steht, das Anspruch auf letztendgültig durchdachte Neutralität und Objektivität erheben darf. Da 13jährige selten zu solchen Ergebnissen kommen, lernt man dabei hauptsächlich das Vorspiegeln von Neutralität und Objektivität.
Hinter dem angelsächsischen Essay-Ansatz steckt dagegen die Idee des Realisierbaren, aber auch die des Revidierbaren: Thesen sind Meinungen, und Meinungen sind zum einen Grundlage unserer Handlungen; auf über allen Dingen schwebenden Synthesen kann keine Handlung basieren. Meinungen sind aber zum anderen auch provisorisch und erheben keinen Anspruch auf Letztendgültigkeit: Eine These als Meinung aufzustellen bedeutet auch, sie anderen zur Beurteilung und Verbesserung vorzulegen. In einer Synthese dagegen sind alle anderen Meinungen schon aufgehoben und überholt. Das ist ein hervorragender Vorwand für autoritäre Kritikresistenz. Der bewussten Parteilichkeit und Subjektivität dagegen ist eine systematische Offenheit eigen – die sie gerade zur eigentlichen Neutralität macht.
(So sieht das übrigens auch snaut.)

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Verschulung

Zwischen dem englischen Bachelor-Studiensystem und den deutschen Verbachelorisierung gibt es zahlreiche Unterschiede, die bei der Umgestaltung der deutschen Studienlandschaft nicht berücksichtigt werden. Die meisten lassen sich damit zusammenfassen, dass man auf der Insel die Dinge pragmatischer angeht. Das gilt für die Konzeption des Bachelor als allgemein berufsbefähigend (siehe Bildung oder Bachelor), es gilt aber vor allem auch für den Umgang mit der oft zitierten “Verschulung”.

Nehmen wir wieder einmal die Universität Oxford, die ich persönlich am besten kenne. Der dortige “undergraduate”, also Bachelor-Student, hat innerhalb eines relativ eng gesetzten Rahmens zwischen verschiedenen “papers”, d.h. Modulen zu wählen; pro Trimester konzentriert er sich auf 2-3 davon, schreibt dazu jeweils mehrere Essays und besucht in der Regel eine dazu passende, ins Modulthema einführende Vorlesung. Am Ende des Jahres hat er eine allgemeine schriftliche Prüfung zu den belegten Modulen, von der das Weiterkommen im Studium abhängt.
Das unterscheidet sich soweit noch kaum von den neuen deutschen Bachelor-Studiengängen. Nur gibt es da ein paar gravierende Unteschiede.
Zum einen wird die Belegung und Durchführung der gewählten Module nicht von Prüfungsämtern, sondern von Dozenten kontrolliert, die die Studenten oft über Jahre begleiten und persönlich kennen. Das lockert die bürokratische Struktur ganz erheblich auf: Wenn ich als Student vom vorgesehenen Curriculum abweichen will, sei es wegen besonderer Interessen oder wegen persönlicher Probleme, dann muss ich nicht einem Bürohengst Stapel von Nachweisen, notariell beglaubigten Kopien und gestempelten Bescheinigungen vorlegen, um dann zu hören, dass es für einen Fall wie meinen ja nicht einmal ein Formular gebe. Statt dessen führe ich ein persönliches Gespräch mit einem der für mich zuständigen Dozenten, mache ihm meine besonderen Interessen oder meine persönliche Lage klar und erhalte einen auf meinen besonderen Fall zugeschnittenen Lösungsvorschlag. Allgemein gesagt: Das “System”, die Bürokratie, die Studienordnung wird hier nicht als ein kategorischer Imperativ, sondern als eine Art Leitlinie oder Gerüst behandelt; der einzelne Fall ist eben nicht nur ein einzelner Fall deses Systems, sondern ein konkreter Student, dessen konkrete Bedürfnisse im Vordergrund stehen.
Ebenso personalisiert läuft zweitens auch die Durchführung der “verschult” vorgegebenen Module ab. Den Hauptteil der Lehre machen hier nicht Seminare mit 20 bis 100 Studenten oder gar überfüllte Vorlesungen aus, sondern “tutorials”: wöchentliche Treffen zwischen einem Dozenten und einem bis fünf Studenten. Die genauen Themen für zu schreibende Essays werden zwischen Dozent und Student vereinbart und folgen zwar meist einem Katalog prüfungsrelevanter Themen, können aber bei besonderen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen auf Seiten der Studenten problemlos auch davon abweichen. Vorlesungen sind fakultativ: Wer gerne durch Hören lernt, geht hin, wer nicht, eignet sich das Wissen aus Büchern an. So ist zwar im Rahmen der Module ungefähr vorgegeben, was die Studenten am Ende eines Studienjahres ungefähr wissen und können sollen; wie sie dieses Wissen erwerben, ist ihnen jedoch freigestellt. Tutorials und Vorlesungen geben wie die Studienordnung nur einen “Leitfaden” ab, ein Angebot, von dem jedoch im einzelnen Fall immer nur nach Bedarf Gebrauch gemacht wird.

Die neuen deutschen Studiengänge lehnen sich an die angelsächsischen “Studienordnungen” an, die in der Tat ein hohes Maß an Verschulung vorgeben, und führen diese Verschulungen nun mit der Gründlichkeit der deutschen Bürokratie so konsequent durch, wie es keinem Angelsachsen je in den Sinn käme. Sinnvoller würde mir erscheinen, den angelsächsischen Umgang mit solchen Studienordnungen zum Vorbild zu nehmen – oder aber bei der alten Form der Studienordnung zu bleiben, die schon im System mehr Freiheiten anlegte und damit der bürokratischen Gründlichkeit auf deren eigenem Terrain Einhalt gebieten konnte.

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Bildung oder Bachelor, Teil 2

In diesen Jahren spielt sich ein Drama ab, dessen Tragweite in der Öffentlichkeit kaum begriffen wird.

So Gustav Seibt in einem vor fast schon 3 Wochen in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Artikel, der die Entwicklung von der Bildung zum Bachelor, oder “von Humboldt zu Bologna” an deutschen Universitäten in drastischen Worten schildert. Am besten den ganzen Artikel lesen! An dieser Stelle sei nur noch der abschließende Abschnitt zitiert:

Es hat immer Menschen gegeben, die nicht mit einem Berufsziel studierten, sondern weil sie sich mit Homer, Dante oder Nietzsche beschäftigen wollten – für ein paar Jahre oder ein Leben lang; die an die Universität gingen, weil sie Byzanz oder das Chinesische Reich kennenlernen wollten. Es wird diese Menschen auch in Zukunft geben. Aber sie werden viel einsamer und viel unfreier bleiben müssen als zuletzt ohnehin schon. Bologna ist gut für Menschen, die mit zwanzig schon wissen, was sie werden wollen. Humboldt war gut für Suchende und Irrende. Ein ganzer Menschentypus, ja eine Lebensform wird heimatlos.

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Ein Plädoyer für den Bildungsbegriff

Im Zusammenhang mit dem letzten Eintrag hier der Hinweis auf ein Buch, das unser ehemaliger Kulturstaatsminister, der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin letztes Jahr veröffentlicht hat: Es handelt sich um eine Sammlung von Vorträgen und kurzen Aufsätzen unter dem Titel “Humanismus als Leitkultur” (gibt’s hier).
Als eine Grundidee zieht sich durch das ganze Buch ein so einfaches wie einleuchtendes Plädoyer für die altmodische “Bildung” im Gegensatz zur bloßen Anhäufung von verwertbaren Informationen:

In einer Zeit, in der Prognosen über die konkrete Verwertbarkeit von Wissen angesichts eines beschleunigten Wandels in allen Lebensbereichen immer fragwürdiger werden, gibt es letztlich keine Alternative zur Orientierung an den Grundlagen unserer Kultur. (S. 26)

Will sagen: Die Spezialistenausbildung, als die sich viele universitäre Studiengänge verstehen, hat in vielen Bereichen unserer diversen und wandelbaren Welt kaum noch einen Sinn; vielmehr muss es darum gehen, Studenten (und andere Lernende) auf einen flexiblen und selbständigen Umgang mit eben dieser Welt vorzubereiten; sie zu gleichermaßen autonomen wie offenen Menschen zu erziehen. Konkreter heißt das, dass eben kein Kanon auswendig zu lernenden Wissens im Vordergrund stehen darf, sondern die Ausbildung der Denkfähigkeit; dass die Konfrontation mit anderen Kulturen und Denkweisen, z.B. auch durch das Erlernen von Fremdsprachen, in allen Fächern und Lehrplänen hohe Priorität erhalten muss; dass an den Universitäten eben durch das Erleben von Wissenschaft als einer kontroversen, nicht einfach sichere Ergebnisse liefernden, rationalen und diskursiven Tätigkeit das Bewusstsein von der Vorläufigkeit alles gelernten Wissens geschärft werden muss.
Das ist natürlich nichts anderes als der gute alte Bildungsbegriff, und darum geht es Nida-Rümelin auch. Wenn er, wie mir scheint, Recht hat, dann hat die “Informationsgesellschaft” das Bildungsideal keineswegs obsolet gemacht (wie oftmals angenommen wird); vielmehr verleiht sie diesem Ideal dadurch, dass ihre Informationen sich alle paar Jahre selbst überholen und obsolet machen, ganz neue Bedeutung.

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Bildung oder Bachelor?

Im Rahmen des Bologna-Prozesses werden ja nun auch die deutschen Universitäten mit dem angelsächsischen System der Bachelor- und Master-Abschlüsse beglückt. Bachelor, das heißt hier: Verkürzung (auf drei Jahre bis zum ersten Abschluss) und Verschulung. Statt der gewohnten akademischen Freiheit, die es den Studenten zumindest der Geisteswissenschaften freistellte, Seminare zu besuchen oder auch nicht, Schwerpunkte zu legen oder auch nicht, sehr viel zu lernen oder auch eher wenig, haben die meisten Institute inzwischen zähneknirschend ein System von “Modulen” eingeführt, in dem Studenten von Anfang bis Ende genau wissen, was sie wann zu tun haben, wann sie wo über was nachdenken und wann sie damit fertig sind.

Der angelsächsische Bachelor aber unterscheidet sich von unseren bisherigen deutschen Abschlüssen nicht nur durch kürzere Studienzeiten und höhere Verschulung. Er unterscheidet sich im Wesentlichen dadurch, dass er keine wissenschaftliche Ausbildung ist. In den besten Fällen, wie etwa an der Uni Oxford, dient er dazu, Kompetenzen für spätere verantwortliche Positionen in der Gesellschaft zu vermitteln: Effizienz, Entscheidungsfreude, die Fähigkeit, sich in kürzester Zeit in ein neues Thema einzuarbeite, die relevanten Informationen herauszufiltern und auf ihrer Basis eine begründete Entscheidung zu treffen. Der durchschnittliche Oxforder undergraduate muss pro Woche mindestens ein “essay” schreiben, in dem es nicht darauf ankommt, alle relevanten Quellen richtig zu zitieren, sondern vielmehr darauf, innerhalb der einen Woche ein Grundverständnis einer bestimmten Problematik erworben und eben eine begründete Entscheidung für die eine oder andere Lösung getroffen zu haben. Die Problematik kann dabei die Frage nach dem Verhältnis von Körper und Seele, die richtige Interpretation von Ovids Metamorphosen oder die Regelung der internationalen Politik sein. Wissenschaftliche Ausgewogenheit spielt dabei kaum eine Rolle, von Wahrheit ganz zu schweigen; worum es geht, ist die Erwerbung der oben genannten Fähigkeiten – so genannter skills. Da diese universal einsetzbar sind, ist es dann auch eigentlich egal, was man studiert; ein Bachelor in Geschichte legt häufig den Grundstein für eine Anwaltskarriere, wer Latein und Griechisch studiert hat, kann als Broker an der Börse Karriere machen. Gelernt haben alle dasselbe: denken, und zwar problem- und zielorientiert denken.

Dient der angelsächsische Bachelor dem Erwerben solcher skills, so sind die deutschen Universitäten (ich meine wieder insbesondere die Geisteswissenschaften) traditionell anders angelegt: auf die Bildung der Persönlichkeit durch deren Konfrontation und freie Auseinandersetzung mit der Wissenschaft. Eine solche Bildungsentwicklung dauert aber meist länger als drei Jahre. Mit der Einführung von Bachelor-Studiengängen ist dann auch meist konsequenterweise ein Aufgeben des Bildungsideals in Auseinandersetzung mit der Wissenschaft aufgegeben: Statt Angeboten zum Selbstdenken erhalten die Studenten mundgerecht abgepacktes Wissen, hübsch organisiert nach Modulen. Ob das zu den Bachelor-typischen skills führt, steht noch in Frage. Ob diese skills, selbst wenn sie erworben werden, auf dem deutschen Arbeitsmarkt ähnlich flexibel verwendbar wären, ebenfalls. Bei uns ist ein Jurist eben noch ein Jurist und ein Altphilologe taugt bestenfalls zum Lehrer. Vor allem aber steht in Frage, ob es sinnvoll ist, die Bildungsidee zugunsten einer noch gar nicht verstandenen und vielleicht gar nicht angemessenen Konzeption praktischer skills einfach aufzugeben und einem Universitätssystem, das durch ein Ideal von Bildung geprägt ist und damit erfolgreich war, ein System von Abschlüssen aufzupfropfen, das Ausdruck und Ergebnis angelsächsischer Pragmatik ist.

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Einigkeitsrhetorik

Ein Hauptseminar an einer Universität irgendwo in Deutschland. Nach eineinhalb Stunden reger Diskussion beendet die Dozentin die Sitzung mit der (rhetorischen) Frage: “Haben wir uns also geeinigt, dass….?”
Haben wir uns geeinigt? Nein. Wir haben Meinungen vertreten, gegeneinander gestellt und dafür wie dagegen argumentiert, der eine oder die andere hat seine Meinung im Laufe der Argumentation verändert oder auch nicht; aber einer Meinung sind wir deshalb noch lange nicht. Geeinigt wird sich deshalb letztendlich auf das, was die Dozentin als ihre Meinung in die Sitzung mitgebracht (oder vielleicht sogar im Lauf der Sitzung dazu gemacht) hat. Wozu also die Einigkeitsrhetorik?
Dahinter steht dieselbe Einstellung, die angesichts politischer Uneinigkeit manche Bürger Ausrufe wie “Was müssen die Politiker sich auch immer streiten, können sie sich nicht einfach einigen…!” tun lässt. Dass Politiker sich streiten, gehört zum Wesen der Demokratie; dass Wissenschaftler sich streiten, gehört zum Wesen der Wissenschaft. Der Wunsch nach Einigkeit um ihrer selbst willen wäre Ausdruck einer sich um keine Folgen bekümmernden Harmoniesucht: Wir mögen das Richtige tun oder nicht, die Wahrheit glauben oder nicht, Hauptsache, wir haben uns alle lieb. Meist aber liegt ihm noch eine andere Annahme zugrunde: Das Richtige und das Wahre muss doch jedem vor Augen stehen, man müsste sich nur endlich darauf einigen, es zu tun oder zu glauben. Die demokratische Gesellschaftsordnung wie auch die moderne Wissenschaft entspringt der Einsicht, dass dem nicht so ist, dass wir nie im Voraus wissen, welche Handlung die richtige sein wird und nie mit Sicherheit sagen können, welche Meinung der Wahrheit am nächsten kommt. Dem Richtigen wie auch der Wahrheit ist deshalb am besten damit gedient, wenn verschiedene Menschen auf verschiedenen Wegen nach ihnen streben und jeder den anderen auf seine Façon streben lässt. Einigkeit gibt es nur in der Diktatur, wenn einer die Macht hat, allen anderen seine Sicht des Wahren und Richtigen aufzuzwingen—wovon unsere Einigung im Seminar, freilich in sehr verkleinertem Maßstab, ein Zeugnis ablegt.

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Betreuung ≠ Bewertung!

Bei aller Anglifizierung des deutschen Unisystems ist eine sehr einfache und äußerst effiziente Maßnahme bisher übersehen worden: die strikte Trennung zwischen fachlicher Bewertung und persönlichem Kontakt.
Anonyme Bewertungen von Prüfungsleistungen gibt es natürlich auch in Deutschland, etwa im Staatsexamen. Die betreffenden Fächer (z.B. Jura) sind auch wunderbarerweise von der erst kürzlich beklagten Noteninflation verschont geblieben. An englischen Universitäten wie etwa Oxford wird das konsequent für alle Fächer und Prüfungen bis hin zur Master-Abschlussarbeit durchgeführt.
Nun kann man ja kaum eine Dissertation anonym bewerten; dazu müsste der Doktorand ja jahrelang geheim halten, an welchem Thema er arbeitet. Hier gilt deshalb nur der einfache Grundsatz, dass der Betreuer einer Arbeit diese nie, nie, niemals bewerten darf. Vielmehr wird für jede Dissertation sogar noch ein “externer” Gutachter von einer anderen Universität einbestellt, der sie gemeinsam mit einem “internen” Gutachter zu bewerten hat. In allen Fällen gilt: Wer meine Arbeit benotet, weiß ich vorher nicht.
Damit fällt zum einen jede Motivation weg, jemandem nach dem Mund zu reden, sei es der Doktorvater oder auch nur der institutsinterne Konsens. Als Standard und Leitlinie verbleibt allein die wissenschaftliche Qualität, die jeder Gutachter unabhängig von der eigenen Meinung anerkennen muss. Gleichzeitig wird die Sphäre des persönlichen Umgangs von direkten Abhängigkeiten und damit von der Ebene des Eindruckmachenmüssens und Nichtaneckendürfens befreit; dies ist ein Grund für das deutlich entspanntere Verhältnis etwa zwischen Doktoranden und etablierten Wissenschaftlern im angelsächsischen Universitätsbetrieb.
Nun will ich damit keinesfalls behaupten, dass es in der deutschen Wissenschaft keine unpersönlichen Standards und keinen ungezwungenen Umgang unter Wissenschaftlern auf verschiedenen Stufen der Hierarchie gäbe. Doch herrscht zumindest in den Geisteswissenschaften weitgehend ein Klima, in dem jemand mit dem Satz “Der ist doch Schüler von XY” (qualitativ wie inhaltlich) hinreichend charakterisiert scheint, und in dem Doktoranden und selbst noch Habilitanden sich genötigt sehen, ganz bestimmte Fragestellungen in eine ganz bestimmte Richtung zu bearbeiten, weil sonst ihre Promotion oder Habilitation überhaupt in Frage steht. Die angelsächsische Entpersonalisierung der Wissenschaft beugt solchen Phänomenen vor; und ein Aspekt dieser Entpersonalisierung ist eben die genannte Trennung von Betreuung und Bewertung.
Übrigens wäre eine diesbezügliche Reform mit weitaus weniger Aufwand und Kosten verbunden als alle Exzellenzinitiativen und Bachelorisierungen. VIelleicht ist deshalb noch keiner darauf gekommen…?

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