Markt

“Are you on the market yet?” wurde ich kürzlich auf einer Konferenz gefragt. Bin ich auf dem Markt?

Also: ich habe Philosophie studiert, eigentlich unter der Prämisse, dass man damit bestenfalls Taxifahrer wird, dass ein solches Studium also ein Akt des marktverweigernden Idealismus ist. Das war in Deutschland und ist auch schon ein paar Jahre her. Dann bin ich nach Oxford gegangen und damit, ohne es zu wissen, Teil eines die gesamte angelsächsische Welt umspannenden akademischen “Marktes” geworden, in dem es vorrangig um “Jobs” geht und die Absolventen einer Universität als deren “turnout”, ihre Produktion, bezeichnet werden. Absolventen produziert man; man wirft sie auf den Markt.

Einmal im Jahr trifft sich die amerikanische Philosophenwelt und alles, was zu ihr gehören möchte, auf der “APA”, der großen Konferenz der “American Philosophers’ Association”. Die APA ist so etwas wie der große Ball der Saison im russischen Gesellschaftsroman: dort werden die Neulinge in die Gesellschaft eingeführt, die Heiratskandidatinnen (und -kandidaten) präsentiert und begutachtet, heiratswillige Absolventen reißen sich um die plauschigen Auswahlgespräche mit den Vertretern besonders guter Familien wie Harvard oder Princeton, und auch die Konversationskünste beim informellen Abendessen gehören natürlich zum Gesamteindruck. Wer Glück hat, erhält einen Antrag (ein Jobangebot); wer Pech hat, muss sich im nächsten Jahr von neuem herausputzen. Wer mehrere Jahre in Folge ohne Antrag bleibt, ist eine alte Jungfer und damit eigentlich abgeschrieben.

Ich habe das Glück, einer “guten Familie” anzugehören, deren Sprösslinge meist von irgendwoher, und sei es von einem Neureichen aus der amerikanischen Provinz, einen Antrag erhalten. Das ist in Zeiten der Finanzkrise nicht mehr so sicher, aber im Allgemeinen harter Arbeit und guter Erziehung geschuldet. So hat mein Department einen “Placement Officer”, der unsere Lebensläufe Korrektur liest und Vorstellungsgespräche mit uns übt. Wir wissen, welche Themen gerade “in” sind und welche Fachbereiche man unterrichten können sollte, um für potentielle Arbeitsgeber attraktiv zu sein. Wir wissen, auf welche Konferenzen wir fahren müssen, um die entscheidenden Leute kennenzulernen, und in welchen Zeitschriften wir einen Artikel unterbringen müssen, damit die entscheidenden Leute auf uns aufmerksam werden. Wir müssen nicht Taxifahrer werden.

Karrieristen gibt es überall, auch in so “idealistischen” Disziplinen wie der Philosophie. Vielleicht ist der Karrierismus im angelsächsischen Raum nur offener zur Schau getragen als etwa in Deutschland. Vielleicht ist es so fairer, weil auch diejenigen, denen das Wissen um die entscheidenden Leute und die wichtigen Zeitschriften nicht zufällt, genauso gute Chancen haben wie die echten Karrieristen. Dennoch: es geht etwas verloren. Eine Freiheit im Denken, die es dann gibt, wenn das Denken um seiner selbst willen betrieben wird und nicht zum Zwecke der akademischen Karriere. Die Beschäftigung mit Themen, die gerade nicht “in” sind. Eine Vorstellung vom Intellektuellen, der nicht Berufsintellektueller sein muss. Ein hiesiger Philosophieprofessor amerikanischer Prägung fragte kürzlich, mit der Idee konfrontiert, dass man Philosophie ja auch ohne eine Stelle an der Universität betreiben könnte, ganz verwundert, wer denn so etwas tue.

Wer die Veramerikanisierung der deutschen Universitäten betreibt, der treibt diese Universitäten (bestenfalls) in genau diese Richtung. (Schlechterenfalls gibt es nicht einmal so etwas wie unseren “Placement Officer”.) Das mag gut oder schlecht sein, aber wissen sollte man es. Wir sind auf dem Markt.

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Multikulturalismus

Wer in einer der großen britischen Supermarktketten (Tesco, Sainsbury, Co-op – entspricht Aldi, Lidl, Edeka) einkaufen geht, der findet neben mehr oder weniger typischen englischen Produkten auch in großen Mengen indische oder pakistanische Lebensmittel – Zielpublikum: Inder und Pakistanis, nicht etwa nur abwechslungshungrige Briten. (Wobei letztere auch längst Curry-Pasten, Naan-Brot und Houmous für sich entdeckt haben. Wie auch nicht, wenn es gleich neben dem englischen Labberbrot und Cheddar-Käse im Regal steht.) Welche deutsche Supermarktkette bietet eigentlich türkische Lebensmittel an? Abgesehen von der einen oder anderen Olivendose (Zielpublikum: deutsch) ist mir noch nichts untergekommen; türkische Lebensmittel gibt es in Türkenläden, als durchschnittlicher Deutscher kennt man eigentlich nur Döner. Das scheint mir symptomatisch für den Willen zur vielbeschworenen Integration – und zwar auf Seiten des „Gastlandes“, nicht der Immigranten selbst.

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Elite

Während “Elite” hierzulande zum positiven Schlagwort und immer mehr zum Slogan geworden ist, schämt man sich ihrer in der traditionell klassen- und elitegeprägten britischen Gesellschaft zunehmend. So stehen Oxford und Cambridge etwa seit Jahren unter staatlichem Druck, “more inclusive” zu werden (so nannte es kürzlich der Guardian) – aber ist Inklusivität nicht das genaue Gegenteil von Elite?!

Der Punkt der Forderung nach mehr Inklusivität ist natürlich nicht nur, dass man mehr Studenten aufnehmen solle (das allerdings auch), sondern vor allem, dass die Elite, die sich im Übrigen nie selbst als solche bezeichnet, sozial inklusiver, durchlässiger also, werden solle. Noch immer rekrutiert sich fast die Hälfte der erfolgreichen Bewerber auf einen Studienplatz in Oxford von teuren Privatschulen, die ihrerseits von weniger als 10% der Schüler besucht werden. “More inclusive” bedeutet natürlich: fairer. Aber wie macht man das?

Die Bewerbung auf einen Studienplatz in Oxford (oder Cambridge) ist ein komplizierter Vorgang. Da sind nicht nur Formulare auszufüllen, sondern auch Essays einzureichen; wenn die eingesandten Unterlagen überzeugen, wird man zu Auswahlgesprächen (an mehreren Colleges) eingeladen; und wer auch darin überzeugt, erhält ein “conditional offer”, also einen Studienplatz unter der Bedingung, dass die Schule mit einer bestimmten Note abgeschlossen wird. (Wer sich aus Deutschland bewirbt und einen guten Eindruck gemacht hat, wird z.B. ein Studienplatzangebot unter der Bedingung erhalten, dass die Abiturnote nicht schlechter als 1,3 wird.) Das klingt sehr ausgewogen. Das Problem an der Sache ist, dass Schüler an Privatschulen (je teurer, desto besser) auf dieses Auswahlverfahren hin trainiert werden – und zwar ganz wörtlich: das Auswahlgespräch wird geübt, selbst über Dozenten, die solche Gespräche durchführen, werden nach Erfahrungsberichten früherer Schüler Register angelegt, die dann wiederum in der Vorbereitung verwendet werden … Und bei einer solchen Vorbereitungs-Industrie soll man als auswählender Dozent noch faire Standards anlegen können!

Soweit ich das sagen kann, versuchen zumindest sehr viele der beteiligten Dozenten das Ungleichgewicht im Bewerbungsprozess auszugleichen – etwa, indem man dem Auswahlgespräch noch eine Klausur vorschaltet, in der das flüssige Gesprächsverhalten des Privatschülers nicht so leicht blenden kann, oder indem man im Bewerbungsgespräch Rätsel und Fragen vorlegt, bei denen es nicht auf erlernte Antworten, sondern auf den Denkprozess ankommt. In jedem Fall scheinen Vorwürfe an die Adresse der Universität zu spät anzusetzen; Oxford und Cambridge können nur versuchen, die schon längst vorhandene Ungleichheit wieder einigermaßen auszugleichen, abschaffen müssen sie andere.

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Angewandte Ontologie

Etwas außer der Reihe, weil ich es als Philosophin und insbesondere als Ontologin sehr lustig fand: Die Zeit vom 28.2. schreibt im Feuilleton unter dem Titel „Etwas wird nichts“ über das „philosophische Ende des Berliner Flughafens Tempelhof“:  

Dass man nur über etwas, nicht aber über nichts reden könne, darin waren sich die Philosophen stets einig. Schwieriger steht es um die Frage, was dieses Nichts denn sei: ein Etwas, das es nicht gibt, oder ein Nichts, das es nicht geben kann, oder ein Etwas, das es zwar aktuell nicht gibt, unter anderen Umständen aber geben könnte. Einen bedeutenden Beitrag zu dieser Diskussion hat kürzlich der Berliner Senat geliefert. Der Regierende Oberontologe Klaus Wowereit und seine Senatorin für Stadtentwicklung und Sprachphilosophie, Ingeborg Junge-Reiher, (beide SPD) haben beschlossen, den Flughafen Tempelhof zu „entwidmen“, das heißt, seiner Flughafenhaftigkeit zu entkleiden – philosophisch gesprochen: aus einem Etwas in ein Nichts zu verwandeln, über das füglich nicht mehr gesprochen und also auch nicht mehr entscheiden werden muss.

Das ist zwar nicht besonders gute Ontologie, aber wer wollte schon so pingelig sein, wenn der eigene Fachbereich es einmal ins Feuilleton geschafft hat? Und dann ist es ja auch ein Schritt in eine interessante Richtung – Philosophen in den Verwaltungsapparat? In Berlin ist alles möglich.

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Fernsehkultur

Die ZEIT vom 14. Februar stimmt (wie viele andere zur Zeit) wieder einmal das Klagelied aufs deutsche Fernsehprogramm, insbesondere den freien Fall in der Qualität der Öffentlichen, an:

… Nun ist das natürlich, wie an dieser Stelle die Intendanten vorwurfsvoll zu sagen pflegen, nicht für ein bürgerlich konsterniertes Publikum gedacht; dieses Publikum möge sich doch an 3sat und Arte laben und endlich die Schnauze halten. Und gewiss ist es mühelos möglich, sich mit den Kulturprogrammen voll zu beschäftigen. Es macht aber gleichwohl einen großen Unterschied, und zwar nicht nur für das Fernsehpublikum, sondern für die ganze Gesellschaft, ob das bürgerliche, das gebildete und kritische Segment noch in den Hauptprogrammen bedient oder in Spartensendern marginalisiert wird. Das Erste und das Zweite Programm definieren die Mitte der Gesellschaft, und wenn diese als ein Biotop gedacht wird, in dem Akademiker oder ganz allgemein höher organisierte Wesen nichts zu suchen haben, dann können wir uns alle Pisa-Studien und Bologna-Prozesse schenken. Keine Schul- oder Hochschulpolitik wird gegen die Botschaft ankommen, dass nur Dummheit mit einem Platz in der ersten Reihe belohnt wird. 

Dem kann ich nur zustimmen, glaube aber, dass daran nicht nur die Dummheit weiter Teile der Unterhaltungskultur, sondern auch der Elitismus der „Gebildeten“ schuld ist und die weithin akzeptierte Unterscheidung zwischen „E“ und „U“, ernsthafter Kultur und banaler Unterhaltung. Je tiefer die Kluft, desto elitärer ist natürlich die Kultur und desto kulturloser die Unterhaltung; desto mehr wird dem Kultur-Rezipienten und desto weniger dem Unterhaltungs-Rezipienten zugemutet. Da werden selbst „Bildungs“-projekte wie etwa die „Krieg und Frieden“-Verfilmung im ZDF zu Beginn dieses Jahres hoffnungslos verhunzt, weil man den Zuschauern selbst in einer Tolstoi-Adaption keine komplexeren Dialoge zutraut als in einer Vorabendserie.

Interessant finde ich, dass die Briten, denen man doch ein viel ausgeprägteres Klassenbewusstsein zuschreiben möchte, keine derartige Kluft zwischen Anspruch und Unterhaltung kennen. Um bei Literatur-Adaptionen im Fernsehen zu bleiben: Ich kann jedem nur die Dickens- und Austen-Verfilmungen der BBC empfehlen, die nicht nur bis aufs Wort originalgetreu, sondern auch großartige Publikumserfolge sind. Die BBC traut ihren Zuschauern zu, auch einmal ein Wort aus dem Kontext zu erschließen, das heute nicht mehr gebräuchlich ist; und die Zuschauer scheinen nicht überfordert zu sein. Wenn nicht strikt zwischen Anspruch und Unterhaltung unteschieden wird, dann ist die Kultur unterhaltsamer und die (Massen-)Unterhaltung anspruchsvoller. Und vielleicht trägt auch das zur Qualität des Bildungssystems bei. (Womit ich keinesfalls leugnen möchte, dass das britische Bildungssystem, insbesondere das Schulsystem, seine ganz eigenen Probleme hat!)

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Forschung und Lehre

Ich höre immer wieder Klagen von deutschen Dozenten über die ihnen auferlegten Lehrverpflichtungen; an den anglo-amerikanischen Spitzenunis, hört (und liest) man immer wieder, könne man sich in viel höherem Maße der Forschung widmen. Kein Wunder, dass dort der Forschungs-Output höher sei. 

Zunächst einmal: Das stimmt nicht. Der Forschungs-Output mag höher sein, aber die Lehrverpflichtungen sind nicht geringer. Oder genauer gesagt, und wie immer (meinem Kenntnisstand entsprechend) auf Oxford eingeschränkt: Wer es einmal zum Professor geschafft hat, muss in der Tat keine undergraduates mehr unterrichten. Die Graduierten (und das schließt natürlich Master-Studenten mit ein) ist man aber keinesfalls los, und deren Betreuung ist hier sehr viel intensiver als an einer durchschnittlichen deutschen Universität. Noch wichtiger aber ist, dass die meisten Forscher hier gar keine Professoren sind (und es auch im Laufe ihrer akademischen Laufbahn nie werden). Ein normaler College fellow oder lecturer hat bis zu 10 oder 12 Stunden Lehrverpflichtung; und das schließt nur die undergraduates ein.  

Wenn also der Forschungs-Output tatsächlich höher (und das Klagen über zu hohe Lehrverpflichtungen zumindest geringer) ist, woran liegt das? Ich kann es mir nur über zwei Hypothesen erklären. 

Hypothese Nummer 1: Es wird mehr gearbeitet. Darüber erlaube ich mir kein Urteil (obwohl es im Durchschnitt stimmen könnte; ich kenne aber sehr hart arbeitende und dennoch klagende deutsche Dozenten). 

Hypothese Nummer 2: Die Art der Lehre ist weniger belastend, trägt vielleicht sogar zur eigenen Forschungsarbeit bei. Das scheint mir eine plausible Hypothese zu sein: Wenn ich mich, wie wir es hier tun, eine Stunde lang in einem Eins-zu-Eins-tutorial mit einem Studenten über seine eigenen Ideen und Argumente unterhalte, dann ist das einerseits sehr intensiv und anstrengend, andererseits aber auch sehr viel fruchtbarer und befriedigender. Wenn ich in einem zweistündigen Seminar den Alleinunterhalter für 30 Leute spielen muss, dann weiß ich zwar, was auf mich zukommt, bekomme aber selbst keinerlei Input und bin (wie ich höre) oft noch frustriert ob mangelndem Interesse auf Seiten der 30. 

Das Lehren in Oxford ist (so glaube ich) anstrengender: Für jede Unterrichtsstunde muss man sich auf die jeweiligen Gedanken eines ganz bestimmten Studenten einlassen, muss im tutorial schnell auf dessen Einwände reagieren und kann nicht einfach das vorgefertigte Programm abspulen. Es ist aber auch spannender – es besteht in der persönlichen Auseinandersetzung mit jemandem und dem Sicheinlassen auf dessen Art zu denken, es ist eine Übung in geistiger Schärfe und bestenfalls sogar eine Quelle von inhaltlichen Anregungen. 

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Terminologie

In den nächsten Wochen werde ich mich (so zumindest mein Vorsatz) ein bißchen genauer über das Oxforder tutorial-System auslassen, das ich seit Kurzem nicht mehr nur als Lernende, sondern auch als Lehrende kenne. Zum Einstieg nur ein kurzes Zitat von W.G. Moore: 

At Oxford in my youth the Senior Tutor’s formula in reporting on my work to the Head of the College would never be: „Mr. Moore is being taught by Dr. X.“ It would be: „Mr. Moore is reading this part of his subject with Dr. X.“ I have come to see that two worlds lie within these expressions.“

Übrigens: Nein, ich weiß nicht, wer W.G. Moore ist. Ich habe das Zitat nur abgeschrieben. Schließlich braucht man ja mal ein bißchen Erholung vom wissenschaftlich korrekten Arbeiten.

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Wieder mal: Bildung oder Bachelor

Nun gibt es also – laut Spiegel online – eine aktuelle Studie, die den Erfolg der neuen Bachelor-Studiengänge untersucht; und siehe da, es gibt

im Bachelor-Studium oft zu wenig Möglichkeiten, das Wissen in bestimmten Punkten zu vertiefen, also einzelne Themen länger, intensiver und umfassender zu beackern.

Wer hätt’s gedacht.

Ein weiterer Punkt, der den Absolventen zufolge noch verbessert werden muss: die Vorbereitung auf das Berufsleben. Die Struktur des Bachelor-Studiums, die von vielen als „verschult“ bezeichnet wird, hat laut Studie bisher nicht zu einer Verbesserung gegenüber den klassischen Studiengängen geführt.

Vorbereitung aufs Berufsleben: Das bedeutet dann wohl die endgültige Verabschiedung von der Universität als Bildungsinstitution. Man fragt sich zudem, was die Verschulung zu besagter Vorbereitung hätte beitragen sollen: Kommt man später im Beruf besser zurecht, wenn einem an der Uni gleich das selbständige Denken und Arbeiten ausgetrieben worden ist?

Da kann man sich nur wundern.

(Disclaimer: Natürlich gibt es gute Bachelor-Studiengänge. Mir geht es um die weit verbreitete Einstellung dazu, die in solchen Formulierungen zum Ausdruck kommt.)

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Synthese

Lernen deutsche Schüler eigentlich immer noch, ihre Aufsätze nach dem Schema “These, Antithese, Synthese” aufzubauen? Ich habe das so gelernt und erst im Studium in England einen ganz anderen Ansatz kennengelernt: den der provisorischen These.

Hinter der deutschen Synthesefixierung steckt die Ideologie des Endgültigen: Als 13jährige Schülerin muss man da zu einem Ergebnis kommen, das allen Seiten Gerechtigkeit werden lässt, das über den kleinlichen Parteilichkeiten steht, das Anspruch auf letztendgültig durchdachte Neutralität und Objektivität erheben darf. Da 13jährige selten zu solchen Ergebnissen kommen, lernt man dabei hauptsächlich das Vorspiegeln von Neutralität und Objektivität.
Hinter dem angelsächsischen Essay-Ansatz steckt dagegen die Idee des Realisierbaren, aber auch die des Revidierbaren: Thesen sind Meinungen, und Meinungen sind zum einen Grundlage unserer Handlungen; auf über allen Dingen schwebenden Synthesen kann keine Handlung basieren. Meinungen sind aber zum anderen auch provisorisch und erheben keinen Anspruch auf Letztendgültigkeit: Eine These als Meinung aufzustellen bedeutet auch, sie anderen zur Beurteilung und Verbesserung vorzulegen. In einer Synthese dagegen sind alle anderen Meinungen schon aufgehoben und überholt. Das ist ein hervorragender Vorwand für autoritäre Kritikresistenz. Der bewussten Parteilichkeit und Subjektivität dagegen ist eine systematische Offenheit eigen – die sie gerade zur eigentlichen Neutralität macht.
(So sieht das übrigens auch snaut.)

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Verschulung

Zwischen dem englischen Bachelor-Studiensystem und den deutschen Verbachelorisierung gibt es zahlreiche Unterschiede, die bei der Umgestaltung der deutschen Studienlandschaft nicht berücksichtigt werden. Die meisten lassen sich damit zusammenfassen, dass man auf der Insel die Dinge pragmatischer angeht. Das gilt für die Konzeption des Bachelor als allgemein berufsbefähigend (siehe Bildung oder Bachelor), es gilt aber vor allem auch für den Umgang mit der oft zitierten “Verschulung”.

Nehmen wir wieder einmal die Universität Oxford, die ich persönlich am besten kenne. Der dortige “undergraduate”, also Bachelor-Student, hat innerhalb eines relativ eng gesetzten Rahmens zwischen verschiedenen “papers”, d.h. Modulen zu wählen; pro Trimester konzentriert er sich auf 2-3 davon, schreibt dazu jeweils mehrere Essays und besucht in der Regel eine dazu passende, ins Modulthema einführende Vorlesung. Am Ende des Jahres hat er eine allgemeine schriftliche Prüfung zu den belegten Modulen, von der das Weiterkommen im Studium abhängt.
Das unterscheidet sich soweit noch kaum von den neuen deutschen Bachelor-Studiengängen. Nur gibt es da ein paar gravierende Unteschiede.
Zum einen wird die Belegung und Durchführung der gewählten Module nicht von Prüfungsämtern, sondern von Dozenten kontrolliert, die die Studenten oft über Jahre begleiten und persönlich kennen. Das lockert die bürokratische Struktur ganz erheblich auf: Wenn ich als Student vom vorgesehenen Curriculum abweichen will, sei es wegen besonderer Interessen oder wegen persönlicher Probleme, dann muss ich nicht einem Bürohengst Stapel von Nachweisen, notariell beglaubigten Kopien und gestempelten Bescheinigungen vorlegen, um dann zu hören, dass es für einen Fall wie meinen ja nicht einmal ein Formular gebe. Statt dessen führe ich ein persönliches Gespräch mit einem der für mich zuständigen Dozenten, mache ihm meine besonderen Interessen oder meine persönliche Lage klar und erhalte einen auf meinen besonderen Fall zugeschnittenen Lösungsvorschlag. Allgemein gesagt: Das “System”, die Bürokratie, die Studienordnung wird hier nicht als ein kategorischer Imperativ, sondern als eine Art Leitlinie oder Gerüst behandelt; der einzelne Fall ist eben nicht nur ein einzelner Fall deses Systems, sondern ein konkreter Student, dessen konkrete Bedürfnisse im Vordergrund stehen.
Ebenso personalisiert läuft zweitens auch die Durchführung der “verschult” vorgegebenen Module ab. Den Hauptteil der Lehre machen hier nicht Seminare mit 20 bis 100 Studenten oder gar überfüllte Vorlesungen aus, sondern “tutorials”: wöchentliche Treffen zwischen einem Dozenten und einem bis fünf Studenten. Die genauen Themen für zu schreibende Essays werden zwischen Dozent und Student vereinbart und folgen zwar meist einem Katalog prüfungsrelevanter Themen, können aber bei besonderen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen auf Seiten der Studenten problemlos auch davon abweichen. Vorlesungen sind fakultativ: Wer gerne durch Hören lernt, geht hin, wer nicht, eignet sich das Wissen aus Büchern an. So ist zwar im Rahmen der Module ungefähr vorgegeben, was die Studenten am Ende eines Studienjahres ungefähr wissen und können sollen; wie sie dieses Wissen erwerben, ist ihnen jedoch freigestellt. Tutorials und Vorlesungen geben wie die Studienordnung nur einen “Leitfaden” ab, ein Angebot, von dem jedoch im einzelnen Fall immer nur nach Bedarf Gebrauch gemacht wird.

Die neuen deutschen Studiengänge lehnen sich an die angelsächsischen “Studienordnungen” an, die in der Tat ein hohes Maß an Verschulung vorgeben, und führen diese Verschulungen nun mit der Gründlichkeit der deutschen Bürokratie so konsequent durch, wie es keinem Angelsachsen je in den Sinn käme. Sinnvoller würde mir erscheinen, den angelsächsischen Umgang mit solchen Studienordnungen zum Vorbild zu nehmen – oder aber bei der alten Form der Studienordnung zu bleiben, die schon im System mehr Freiheiten anlegte und damit der bürokratischen Gründlichkeit auf deren eigenem Terrain Einhalt gebieten konnte.

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